Montag, 6. August 2001


Es ist warm. Mein Frühstück aus einem Bagel (ursprünglich jüdisches Hefegebäck in Ringform) mit Schinken, Käse und Ei, einem Kaffee und viel Poland Spring Water schleppe ich in der braunen Papiertüte bis zu den Bänken vor dem American Museum of Natural History. Hier ist vor acht noch nicht viel los. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite am Central Park werden langsam die Penner wach, viele Taxis und schwarze Lincoln Town Cars sind unterwegs. Erstaunlich viele Jogger ziehen ihre Bahnen und ölen dabei weniger als ich, dem das Hemd nach 500 Metern Fußmarsch schon wieder am Leibe klebt. Kurz vor acht bin ich zurück vor meinem Hotel und habe die Gelegenheit, lauter gutaussehende Leute aus dem benachbarten Fitnessstudio kommen zu sehen. Haben alle übergewichtigen Amerikaner heute Ausgehverbot? Jutze und AvE sind fast pünktlich und nachdem AvE sich mit einem Kaffee "to go" bewaffnet hat, machen wir uns auf in Richtung U-Bahn. Auf dem Weg zur Station Broadway/72nd West, stelle ich bei der Citibank fest, daß Abhebungen völlig unproblematisch mit der EC-Karte möglich sind. Wer in Deutschland am Citibank-Automaten nichts bezahlt, tut das auch hier nicht. Wie praktisch.

World Trade Center

Downtown angekommen geht's zu Fuß zum Südturm des World Trade Center, wo nach etwas Kartenschlangenwarterei ein Zwangsphoto vor gemalter Kulisse ansteht ("You don't have to buy the photo."). An der Sicherheitskontrolle ("Open your bags for inspection!") bekomme ich ein Kompliment: "Nice camera, man. Where're you from?" - "Germany." - "Dankeschön, auf Wiedersehn!" (oder so ähnlich). Die Fahrt in den 107. Stock geht auf die Ohren. Oben ist alles verglast und noch eine Etage darüber, ganz oben auf dem Dach weht erstaunlicherweise kein Lüftchen. Der Ausblick wäre perfekt, wäre es nicht so extrem diesig. Unser Photo ist übrigens schon fertig entwickelt, als wir oben ankommen. Drei verkaufstüchtige Damen rufen uns und allen anderen Besuchern entgegen: "Pick up your photo!" - 15 Dollar für ein Bild auf dem ich die Augen zu habe?

Wall Street, New York Stock Exchange, Battery Park

Wieder festen Boden unter den Füßen marschieren wir unter Jutzes fast untrüglicher Führung zur New York Stock Exchange und besorgen uns Tickets für die nächste kostenlose Führung. Auf der Straße werden gerade die Spuren einer Party der Firma Enterasys Networks beseitigt, die hier heute ihre Zulassung zum Börsenhandel gefeiert hat.

Die Wartezeit verbringen wir bei einem leckeren Salat in den angenehm gekühlten Räumen eines Yuppi-Imbiß. Zurück vor der NYSE heißt es Schlangestehen. Die pralle Sonne und das chefige Gehabe der Security ("Build a dobble line...") stellen unsere Geduld allerdings kürzer als erwartet auf die Probe.

Drinnen ist alles sehr bunt und anschaulich aber mit wenig Tiefgang aufgemacht; den bestsortierten Eindruck macht der Andenkenladen. Wer hier ohne Vorkenntnisse aufläuft, dürfte am meisten Spaß am Blick ins Parkett haben, wo die Händler mit ihren bunten Jacken knöcheltief in weggeworfenen Tradingzetteln waten, wenn sie nicht gerade für eine hektische Zigarettenpause auf der Wall Street stehen. Wir marschieren weiter in Richtung Südspitze Manhattan und gelangen vorbei am Bullendenkmal (fest in japanischer Hand) zunächst in den Schatten des Battery Park in die Gesellschaft von Eichhörnchen und mit einem Eis dann unter das Dach von Castle Clinton, das die Holländer 1807 zur Abwehr der Engländer errichteten. Mittlerweile hat die Hitze unangenehme Ausmaße angenommen, was einen historisch uniformierten Schausoldaten nicht kratzt: "This isn't hot. I'm from Texas."

Public Library, Bryant Park

Unsere dritte Station an diesem Tag ist die New York Public Library, der prachtvollste Tempel des Wissens, den ich je besucht habe. Bildung scheint bei den privaten Sponsoren und der Stadt New York im Jahre 1897 einen anderen Stellenwert gehabt zu haben, als bei den Architekten diverser deutscher Stadtbüchereien. Den großen Lesesaal mit seinen hohen Marmorsäulen, Holzschnitzereien, riesigen Deckengemälden und hellen Fenstern finde ich in natura noch erhabener als auf Photos. Natalie ist in der Abteilung für Psychologie nirgends zu sehen, obwohl sie heute ihren freien Tag hat.

Jutze möchte einen Plattenladen besuchen und wir fahren nach SoHo (South of Houston Street), wo wir dann leider vor verschlossenen Türen stehen. Hardrocker schlafen montags aus. Hier trennen sich unsere Wege. Jutze erwandert sich - soweit ich mich erinnere - die Brooklyn Bridge, während AvE und ich uns vor meinem Hotel verabreden, um zum Bryant Park neben der Public Library zurückzukehren, wo heute abend Open-Air-Kino (The Philadelphia Story) auf dem Programm steht. Wir sichern uns den vorletzten Platz auf dem Rasen, haben viel Spaß beim Aufpusten meiner Luftmatratze und verbringen die Wartezeit mit Pizza, noch mehr Poland Spring, einem Limonenbier und der Beobachtung der college people um uns herum. Kurz vorher hatten wir NYLON in der Auslage des nahen Zeitungsstandes ausgemacht und AvE sichert uns die beiden letzten Exemplare. The Philadelphia Story habe ich vor Urzeiten im Fernsehen gesehen. Die Stimmung - Szenenapplaus für Katharine Hepburn, die sich zu diesem Zeitpunkt in einem New Yorker Krankenhaus befindet - und das Drumherum machen den Abend trotzdem unvergesslich.




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